Die Glocken im Lindenhorster Kirchturm

Im Turm der Lindenhorster Kirche hängt ein über 600 Jahre altes, wertvolles Geläute mit zwei (ehemals drei) Glocken. In Dortmund gibt es nur an zwei Standorten Glocken, die älter sind als die Lindenhorster: In der kath. St. Urbanus Kirche in Huckarde und in der ev. Alten Kirche in Wellinghofen an der Overgünne. Im Wellinghofener Kirchturm ist bis heute eine im 13. Jahrhundert gegossene Glocke in Betrieb.

Claus Peter, der Glockensachverständige des Landeskonservators und der ev. Kirche von Westfalen, hat die Glocken im Lindenhorster Kirchturm begutachtet und schreibt dazu u.a.:

1. Zur Geschichte des Geläutes:
Die Kirche – früher Filiale von Do.-Brechten – verfügte bis zum 2. Weltkrieg über ein geschlossen erhaltenes Dreiergeläute des 15. Jhs. Die beiden größten Glocken waren 1405 datiert. Die größte Glocke wurde im 2. Weltkrieg vernichtet. Sie trug die Inschrift (rückläufig zu lesen): datum anno dn°i m c°c°c°c° v  m raia dni et inhonore ste ioa°is baptiste (BALfD). Durchmesser 860 od. 880 mm. Die beiden anderen Glocken sind erhalten und bilden das bestehende Geläute der Kirche. Die Überlieferung, dass aufgrund des aus den beiden großen Glocken inschriftlich festgelegten Johannes-Patriziniums alle drei Glocken aus der St. Johannes-Baptista-Pfarrkirche zu Do.-Brechten stammen, ist nach der Quellenlage bisher weder zu beweisen noch zu widerlegen.

Zur Zuschreibung:
Nach Schriftgestaltung und Aufmachung könnten alle drei Glocken dem gleichen Gießer zugeschrieben werden, der 1404 die (ehemalige) große Glocke der Pfarrkirche zu Pelkum goß. Deren Inschrift nennt – wegen schlechten Gusses unsicher lesbar – einen mester eilerd [oder everd].

4. Glockenstuhl/Joche: Kein Glockenstuhl mehr vorhanden, lediglich eine einfache Unterkonstruktion (Kastenverband); ihre obere Begrenzung überschneidet die romanischen Schallöffnungen die Glocke I hängt heute zwischen den Dachbalken d. Turmdaches (dort die frühere Lagerung mit einfachen eisengefütterten Ausnehmungen erhalten. Die Glocke II hängt in einer einfachen, auf die Dachbalken gesetzten Konstruktion zwischen zwei Ständern; ursprünglich dürften alle drei Glocken zwischen den Dachbalken gelagert gewesen sein. Die frühere Aufhängung der ehem. großen Glocke ist jedoch wegen zahlreicher nachträglicher Veränderungen nicht mehr zu lokalisieren. Joche: Stahl. Maschinen HEW.

5. Turmuhr: 1906 v. J. F. Weule / Bockenem. Gehwerk (Grahamhemmung; kontinuierlicher Gang); 1/2 Stunden-Schlagwerk. 8 Tg. Gehdauer. Außer Betrieb.“

Und an anderer Stelle erläutert Claus Peter die Inschrift ausführlicher:
„Dortmund Lindenhorst: Glocke von 1405
Originaltext (rückläufig von rechts nach links zu lesen):     
. . etsitpab . s-ihoi . et-s . eronohni . te . i°nd . anesni [unklare Lesung!] . v° . c°c°c°c° . m° .
i-nd . onna . mutad    
Worttrenner: Kleine stilisierte Blüten (durch Punkt bezeichnet).
Übertragung mit aufgelösten Kürzeln, jedoch ohne Worttrenner:   
datum anno domini m° c°c°c°c° v° [1405] in cena domini et inhonore sancte iohannis baptiste.
Übersetzung:
Gegeben (d. h. gestiftet) im Jahre des Herrn 1405 am Gründonnerstag und zu Ehren des heiligen Johannes des Täufers.“

Die Glocken der Lindenhorster Kirche im Zweiten Weltkrieg

Aus „Zur Chronik der Kirchengemeinde Dortmund–Lindenhorst, 1932 – 1969, Beiheft zum Lagerbuch“
(Autor: der damalige Pastor Niemeyer):


„Gleich Anfang des Jahres 1942 traf uns ein schmerzlicher Verlust: Unsere Kirchenglocken wurden uns genommen. Schon seit längerer Zeit waren sie, weil aus Bronze bestehend, beschlagnahmt und am 14. Januar 1942 wurden sie aus dem Turm entfernt. Man wusste sich dabei nicht anders zu helfen, als dass man die größere noch im Turm zertrümmerte. Die mittlere wurde mit Stricken heruntergelassen. Seit 500 Jahren haben sie ihren Dienst getan, wie eine lateinische Inschrift es bezeugt: datum in honorem sancti johannis baptistae anno domini MCCCCV, d,h. geschenkt zu Ehren des heiligen Johannes, des Täufers, im Jahre 1405. Nun sollten auch sie zu grausigem Zweck im mörderischen Krieg missbraucht werden. Es blieb uns nur noch die kleinste Glocke. Ihr schwacher, dünner Ton, der nicht weit zu hören war, kam uns zuerst immer wie eine einsame Klage vor …
… auch eine der beiden im Januar 1942 abgelieferten Kirchenglocken kam im Verlauf des Jahres 1946 wieder zu uns zurück, und zwar die mittlere. Sie hatte die Kennziffer 13 – 37 – 155c und war am 30.7.1942 an die Norddeutsche Affinerie (Metallschmelze) Hamburg 6 verschickt worden. Sie entging der Einschmelzung und wurde von der „Transport–Kommission des Ausschusses für die Rückführung der Kirchenglocken“ Hamburg 11, Zippelhaus 4, am 11. Juli 1947 in das Glocken–Sammellager Münster gebracht. Bei den damals sehr eingeschränkten Transportmöglichkeiten mussten wir aber noch eine ganze Weile warten, bis wir unsere Glocke in Lindenhorst hatten. Hier kam sie zuerst einmal zur Reparatur in die Schmiede Lohmann, da die verrosteten Zubehörteile erneuert werden mussten. Endlich, an einem Samstag im Spätherbst 1947 war es soweit, dass der Schmiedemeister Heinrich Lohmann und sein Sohn Helmut, Presbyter August Middendorf und Küster Friedrich Hilker die Glocke mit vereinten Kräften im Turm emporwinden und sie an ihrem alten Platz, im Glockenstuhl, wieder einbauen konnten.“
(übermittelt von Monika Berg, Presbyterium der Segenskirchengemeinde, per Mail am 9.8.2010)

Anmerkung von Claus Peter, Glockensachverständiger, per Mail am 9.8.2010
Vielen Dank für die interessante Mitteilung. Dass die beschlagnahmte Glocke zur Ablieferung im Turm zertrümmert wurde, war nach den damals geltenden Regelungen vorschriftswidrig: Alle B- und C-Glocken waren danach den Sammellagern in unversehrtem Zustand zu überstellen. Hätte man diese Vorschrift beachtet, dann wäre die Glocke nach dem Kriege zurückgeführt worden und hinge noch heute im Turm.